Salzburg – Sommerfestspiele 21.08. – 25.08.2017
Vom Leben und Sterben des Jedermann
„Er muss eine Pilgerschaft antreten“
Es ist stimmig und macht Sinn, dass das diözesane Pilgerbüro die Fahrt zu einer Auf-führung des „Jedermann“ in seinem Programm anbietet. Unabhängig von der jewei-ligen Inszenierung hat das Mysterienspiel des Hugo von Hoffmansthal seit fast 100 Jahren einen festen Platz in den Salzburger Festspielwochen. Woher dieser Erfolg?
„Jedermann“ verkörpert, wie schon der Name der Hauptfigur erkennen lässt, den Menschen in seiner dramatischen Realität zwischen Leben und Tod, zwischen dem Streben oder gar der Gier nach rauschhaftem Glück und der ständigen, schicksalhaft unausweichlichen Bedrohung seiner Existenz. So wird die Erfahrung einer Auffüh-rung auf dem Salzburger Domplatz zu einer Meditation, zu einer Pilgerreise in die Höhen und Tiefen der eigenen Biographie. Jedermann, einem unersättlichen Durst nach Reichtum und Anerkennung verfallen, den er mit seiner Geliebten, der „Buhl-schaft“ teilen will und sich in der aktuellen Inszenierung mit Tobias Moretti erkühnt, den ganzen Dom zu kaufen und ihn zu einem Wellness-Paradies umzuwandeln, durchläuft auf dem Höhepunkt seiner Karriere den unerwarteten Einbruch der End-lichkeit. Die ahnungsvollen Mahnungen seiner Mutter entfalten ihre ernüchternde Wahrheit. In der mit Todesahnung verbundenen plötzlichen Erkrankung erlebt Je-dermann die festliche Gesellschaft seines Gelages plötzlich nur noch schemenhaft. Was bisher nah und begehrenswert erschien, verblasst in der schreckenden Begeg-nung mit dem Tod, der – mal als Mann, mal als Frau auftretend – mit dem ersten Kuss das Schicksal des Jedermann besiegelt. Hugo von Hoffmansthal lässt diese angsterre-gende Wendung gleichsam in ein Fegefeuer münden, in dem Jedermann sämtliche Freunde davonlaufen und zuletzt auch die Buhlschaft in einer hilflos gewordenen Liebe von der Bühne seines Lebens abtritt. Nur die äußerlich erbärmlich, innerlich aber unglaublich starke Personifizierung der „Guten Werke“ ist es, die Jedermann auf seinem letzten Weg die Treue hält, und der von der Doppelgestalt eines Ordens-mannes und des „Glaubens“ den Segen und seine Absolution erhält. Der Teufel, der sich seiner Beute gewiss war, windet sich angesichts seiner unausweichlichen Niederlage.
Die aktuelle Inszenierung ist auf das Wesentliche hin verdichtet und in gewisser Hin-sicht säkularisiert. Die ausgesprochen christlichen Botschaften von Erlösungsglauben und Gottes Barmherzigkeit treten in den Hintergrund, bleiben aber in einem erkenn-baren Rest von Werktreue in ihrer authentischen Botschaft dennoch erkennbar. Die raffiniert ersonnene Bühnentechnik macht augenscheinlich erkennbar, wie schwan-kend der Boden ist, auf dem sich menschliche Existenz in scheinbarer Ruhe abspielt, und wie zerbrechlich alles ist, was Menschen sich anhäufen und als vermeintliche Si-cherheit um sich aufbauen.
Eindrücklich die letzte Szene von Jedermanns Ende, von seinem Tod. Während sich der abendliche Schatten bei untergehender Sonne über der Zuschauertribüne aus-breitet, liegen die letzten Sonnenstrahlen auf jener Treppe, mit der Jedermann seiner endgültigen Begegnung mit dem Tod entgegengeht. Die Treppe führt hinein in jenen Dom, der doch ein Tempel der Lust und Sinnenfreude werden sollte. Das Haus Gottes öffnet seine Pforten für das Paradies: die so genannte Eingangshalle großer Kirchen und Dome. Dann ein letzter, alles beendender Kuss des Todes. Bereitet er womöglich ein ewiges Wiedersehen mit der Buhlschaft vor?
Nicht alle klatschen frenetisch. Manche schweigen nachdenklich. Während die Zu-schauer dem Ausgang entgegen streben, steht, abfahrbereit, vor dem Festspielhaus eine Phalanx nobler Limousinen. An ihnen vorbei radelt plötzlich, wie in einem To-tentanz der besonderen Art, der Schauspieler „Tod“ in seinem Bühnenkostüm über den Platz. Zufall, oder doch eher Absicht? – Schauspiel und banale Wirklichkeit verschwimmen. Der Tod ist alltäglich, die Pilgerschaft geht weiter. Noch einmal gilt es zu begreifen: WIR sind Jedermann.
Im sorgfältig vorbereiteten Rahmenprogramm erleben die Teilnehmenden an der Salzburger Jedermann-Wallfahrt eine vorzügliche und geistreiche Führung durch das geschichtsträchtige Juwel an der Salzach, dürfen das älteste Benediktinerkloster nördlich der Alpen, St. Peter, erleben und von seinen dem normalen Touristen ver-borgenen Seiten entdecken. Ein in mehrfacher Hinsicht erfrischender Besuch bei den fürstbischöflichen Wasserspielen von Hellbrunn und – nicht zu vergessen – eine geist-liche Stunde in der Wallfahrtskirche von Maria Plein lassen die fünftägige Exkursion zu einem Pilgererlebnis der besonderen Art werden.
Prädikat: wertvoll!
Wolfgang Sauer